| Ausgangspunkt + Fragestellung
Schostakowitschs Musik hat
seit einiger Zeit in den Musik-Programmen des öffentlichen
Musiklebens in (West-) Europa einen immer größer werdenden
Raum eingenommen. Dabei hat die quasi Neuentdeckung von Schostakowitsch
weniger mit aktuellen, musikwissenschaftlichen Erkenntnissen
am Werk oder mit der üblicherweise verspäteten Vereinnahmung
durch den Musikbetrieb ("posthum ") zu tun als mit
der Erkenntnis, Werk und politische Implikationen in noch engerem
Bezug sehen und hören zu
müssen.
Die Neuentdeckung hängt
also direkt mit einer Neubewertung der Musik in ihrem historischen
und politischen Kontext zusammen. Faszinierend ist dabei, dass das
kompositorische Lebenswerk einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren,
vom Anfang der zwanziger Jahre bis 1975. Dies entspricht dem
politischen Zeitraum, der von Lenins Tod (1924) über
Stalin, Chruschtschow bis hin zu Breschnew (Unterzeichnung
der Schlussakte der KSZE in Helsinki, 1975) reichte.
Untersucht wird die zentrale Frage nach Veränderungsprozessen
in der Innen- und Außenwelt eines Menschen, die Frage nach
individuellen, persönlichen und künstlerischen Antworten
auf (mehrfach!) politisch herbeigeführten, radikalen Strukturwandel.
Das Projekt Schostakowitsch
Retrospektive - Perspective sucht
also hinsichtlich der künstlerischen und gesellschaftlichen Gesamtkonstellation
nach Konsequenzen und klärenden Antworten im und zum Werk Dimitri
Schostakowitschs.
Das Projekt
Das
Projekt beabsichtigt, mit neun exemplarischen
Werken aus unterschiedlichen zeitlichen Perioden programmatisch
die Verflechtung und Spannung zwischen offizieller Musikpolitik
(mit allen damit verbundenen Repressalien) und Schostakowitschs
persönlich-authentischer Musik-Sprache auszuloten:
Dabei werden auch bestimmte "westliche" Komponisten im
Kontext ihrer real-politischen und biographischen
Situation vorgestellt und deren Kompositionen mit Schostakowitschs
Musik in einen lebendigen Bezug gebracht.
Schostakowitschs Verfahren,
mit einer zweiten Ebene zu sprechen, z. B. Volkstümlichkeit
und Verständlichkeit
als Fassade zu brandmarken, die Anpassung an die herrschende
oder verordnete Ästhetik
als Schein zu entlarven, ist zugleich das
Moderne + Authentische seiner Musiksprache.
- Repetitive Anwendung von Folklore-Elementen,
- orgiastische Primitivismen,
- marionettenhaft anmutende, mechanische Bewegungsschablonen
werden zu Bildern des Zwanges und somit der "Zwangsverhältnisse",
unter denen das Leben stand, verweisen aber auch auf Verblendungszwänge
einer heutigen, sich ?modern" nennenden, Gesellschaft . Die übertriebene
Verwendung musikalischer Klischees lässt kontrastscharf dagegen
gestellte Anklage/Klage-Musiken noch härter und bedrohlicher
erscheinen.
Schostakowitsch setzt auf die unmittelbare Assoziationsmöglichkeit
und -fähigkeit seiner Hörer, die trotz oder gerade wegen
der Doktrin des "Sozialistischen Realismus" virulent vorhanden
waren.
Diese
Musik programmatisch zu schärfen, was
bedeuten würde, sie gleichermaßen in einen historischen
wie auch gegenwärtigen Kontext zu stellen und in "pointierten" Orten
und Räumen zu platzieren, ist die Herausforderung und Chance
einer neuen Schostakowitsch-Rezeption.
Nicht zuletzt geht es um
Würdigung der Unbeugsamkeit einer
der wegweisenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
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